2017 | Gedächtnis des Wassers

Schwarze Komödie von Shelagh Stephenson

Ein Todesfall, drei Schwestern und jede Menge Probleme! Mary, Teresa und Cathy können sich schon nicht über den Blumenschmuck einigen, viel weniger über die Erinnerung an ihre Kindheit. Wie war ihre Mutter eigentlich? Muss man ihren Tod beweinen? Was kann man dagegen tun, dass man wird wie sie? Und dann sind da auch noch die Männer!

Die taffe Ärztin Mary hat ihr Leben eigentlich im Griff und ist doch nicht glücklich. Kurz vor vierzig fragt sie sich, ob ihre Daueraffaire mit dem verheirateten Mike alles ist, was sie vom Leben erwartet. Was macht sie so besessen von dem jungen Patienten, der sein Gedächtnis verloren hat? Warum träumt sie in letzter Zeit ständig von ihrer Mutter?

In Zeiten der Selbstoptimierung in Twittergeschwindigkeit verlernen wir das Innehalten. Den Tod eines geliebten Menschen aber muss man Verarbeiten. Um glücklich zu werden, muss man ehrlich sein zu sich selbst. „Das Gedächtnis des Wassers“ ist ein kluges Drama über Lebenslügen und eine turbulente Komödie über den Selbstbehauptungswillen unangepasster Frauen im Ausnahmezustand.

Impressionen der Vorstellung

Presse

fricktal24.ch – Freitag, 17. November 2017

Theater Kaiseraugst brilliert mit Tragikomik und Tiefgang

Von: Hans Berger

Da sie die Rollen der dem Leben nichts positives abzugewinnenden, verbitterten, elendig frustrierten, streitsüchtigen Personen Viola, Teresa, Anna und Catherine so authentisch spielen, wäre es eigentlich nicht sonderlich verwunderlich, wenn Marina Herzog, Katja Widrig, Samantha Freivogel und Martina Schneider nach der vom Theaterverein Kaiseraugst aufgeführten rabenschwarzen, nachdenklich stimmenden Komödie „Gedächtnis des Wassers“ der britischen Autorin Shelagh Stephenson nicht mehr die selbe Akzeptanz im Dorf hätten wie davor. Wer also die unechten und gleichwohl echten (nur vermeintlich schizophrene) vier interssanten Frauen studieren will, kann dies heute und morgen ab 20 Uhr, am kommenden Sonntag ab 17 Uhr sowie am 23., 24., 25. November wiederum ab 20 Uhr im Kaiseraugster Jugend- und Kulturzentrum Violahof tun.

(v.l.) Marina Herzog, Martina Schneider, Katja Widrig, Benjamin Bürgi, Samantha Freivogel, Thomas Hossli

Intro
Ob das Wasser ein Gedächtnis hat, wird unter den Wissenschaftlern seit Jahrzehnten heiss diskutiert. Sicher ist, ohne Wasser gibt es kein Leben. Die Erdoberfläche besteht aus 71 %, Kleinkinder aus 70 % und ältere Menschen aus rund 50 % Wasser. Wasser ist eine einzigartige Flüssigkeit und ist äusserst dynamisch. Wassermoleküle bewegen sich extrem schnell, was sie einzeln auf einer Pikosekunden-Zeitskala ununterscheidbar macht.

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI-P) in Mainz und am FOM Institut AMOLF in den Niederlanden konnten vor rund zwei Jahren beobachten, dass die Wassermoleküle mit schwachen Bindungen eine viel längere Schwingungslebensdauer aufweisen (bis zu ca. 1 ps) als diejenigen, die stark gebunden (bis zu ~ 0,2 ps) sind. Anders ausgedrückt: die schwachen Bindungen von Wassermolekülen bleiben über einen bemerkenswert langen Zeitraum bestehen, d.h. sie behalten ihren grossen Abstand zu benachbarten Molekülen.

Ausgangslage
Auch wenn wir hierzulande mit dem Wasser eher despektierlich umgehen, wissen wir dennoch, dass es das zentrale Lebenselixier aller Pflanzen und Lebewesen ist und obendrein auch noch heilende Wirkung besitzt.

Für die Autorin Shelagh Stephenson ist es beinah typisch, dass in ihren Stücken medizinische Themen eine wichtige Rolle einnehmen. „Gedächtnis des Wassers“ bezieht sich auf die Theorie der Homöopathie, dass Wasser, in dem ein Wirkstoff unendlich verdünnt wurde, immer noch therapeutisch wirksam bleibt. Dieser Tatsache geht sie im Stück vertiefter nach und fragt sich: Wenn schon das Wasser ein Gedächtnis besitzt, wie ist es dann mit Blut, das bekanntlich dicker ist? Wie eigenständig sind wir als Persönlichkeiten? Was lebt von unseren Eltern in uns weiter?

Bestätigung
Das von Regisseurin Nicolaia Marston hervorragend inszenierte, von der ersten bis zur letzten Minute spannende Stück ist ein kluges Drama über Lebenslügen und eine turbulente Komödie über den Selbstbehauptungswillen unangepasster Frauen im Ausnahmezustand.

Der Tod der Mutter Viola schwemmt bei ihren drei Töchtern jede Menge abgrundtiefer Probleme an den Tag. Es fängt damit an, dass sich Teresa, Anna und Catherine schon nicht über den Blumenschmuck einigen können und noch viel weniger über die Erinnerung an ihre Kindheit.

Wie war ihre Mutter eigentlich? Muss man ihren Tod beweinen? Was kann man dagegen tun, dass man wird wie sie? Und dann sind da auch noch die beiden Männer! Weder Annas verheirateter Freund Mike (Thomas Hossli), noch Teresas Ehemann Frank (Benjamin Bürgi) können verhindern, dass die Beziehung unter den drei Schwestern stetig zunehmend eskaliert.

Ob sie es nun wollen oder nicht, jede der drei Töchter hat von ihrer Mutter Viola ein „Familienerbe“ mitbekommen. Es ist eben wie mit dem Wasser, das die Heilkraft eines Stoffes im Gedächtnis behält, auch wenn es viele Male und immer wieder verdünnt wird.

Charaktere
Samantha Freivogel überzeugt als Ärztin Anna, die hinter ihrer kühlen, abgeklärten Fassade die Sehnsucht nach einer Familie verbirgt. Katja Widrig spielt Teresa, welche seit je die stets verlässliche grosse Schwester ist. Sie blieb am Ort, heiratete einen verlässlichen Mann und betreute die Mutter. Sie meint, die Zügel in der Hand zu haben. Martina Schneider schliesslich ist das Nesthäkchen Catherine, ausgeflippt, chaotisch, extrovertiert bis zur Unerträglichkeit, doch nur scheinbar sorglos.

Mit diesen drei „schrägen“, ungleichen Frauen steht und fällt das Stück in Kaiseraugst. Nicht nur, weil sie die ihnen vermeintlich auf den Leib geschriebenen Rollen brillant verkörpern, sondern auch, weil die englische Autorin Stephenson ihnen Dialoge voll bissigem Wortwitz in den Mund gelegt hat.

Westphal ist es gelungen, all jene Situationen zu erschaffen, welche wohl viele der BesucherInnen aus der eigenen Familie kennen. So zum Beispiel „das grosse Tribunal“, wie Anna die Vorwürfe nennt, sich nicht genügend um die Mutter gekümmert zu haben. Ausserdem glaubt Teresa, dass ihre Schwestern ihre Kindheit positiv wie negativ verklären würden. Doch auch sie erinnert sich nicht immer korrekt. Und überdies würde Anna ihre Ähnlichkeit mit der Mutter leugnen. Diesen Vorwurf erhebt die tote Mutter Viola (Marina Herzog) selbst, wenn sie der Tochter wiederholt im Schlaf erscheint.

Zwischen all dem tauchen schliesslich noch Teresas Mann Frank (Benjamin Bürgi) und Annas verheirateter Liebhaber Mike (Thomas Hossli) auf. Sie sind ganz eindeutig zur falschen Zeit am falschen Ort und sorgen für ungewollte Komik. Für ein befreiendes Lachen im Publikum reicht es jedoch nicht, denn zugleich decken sie – gewollt oder ungewollt – schonungslos lang gepflegte Lebenslügen auf.

Das Gefühl der Betroffenheit verstärkt sich dadurch, denn all das Spiel fusst immer deutlicher in der alltäglichen Realität. Das vom Theaterverein Kaiseraugst aufgeführte Stück „Das Gedächtnis des Wassers“ wird wohl die Mehrheit der Besucherinnen und Besucher weit über den Nachhauseweg hinweg nicht loslassen.